Bloß kein Gesichtszucken

27. August, 2020

Peter Albrecht beendete die Sommerklänge mit einem furiosen Orgelkonzert. Beim Umblättern geht er neue Wege

Pokerface an der Orgel: Peter Albrecht blättert die Noten mit einem Mundzucken um.                                              <b>Ralf Tiemann</b>

Pokerface an der Orgel: Peter Albrecht blättert die Noten mit einem Mundzucken um. Ralf Tiemann

Ralf Tiemann

Iserlohn  Wer am Dienstagabend beim Abschluss der diesjährigen Sommerklänge in der Aloysiuskirche war, konnte zwei ziemlich wuchtige und hochvirtuose Großwerke hören. Der junge Kölner Kantor Peter Albrecht hatte Bachs monumentales Präludium mit Fuge in e und die nicht minder beeindruckende dritte Orgelsymphonie von Louis Vierne ausgesucht, um das ruhig fließende, meditative „Pari Intervallo“ von Arvo Pärt einzurahmen. Ein starkes Programm, bei dem man sich gerade bei den halsbrecherischen Kopf-Werken am Anfang und am Ende einen wild auf der Orgelbank wirbelnden, ackernden und sich verausgabenden Orgelvirtuosen vorstellt. Aber weit gefehlt. So ruhig und regungslos wie am Dienstag hat sich Peter Albrecht vermutlich noch nie zuvor durch ein solches Programm gekämpft. Denn er hat erstmals allermodernste Digitaltechnik als Ersatz für das seit Jahrhunderten gebräuchliche Notenheft verwendet.

Und das geht so: Auf dem Notenpult der Orgel steht ein iPad auf dem Noten zu lesen sind. Anstatt nun umzublättern, was für jeden Musiker eine unangenehme Sache ist und wofür meistens ein zweiter Musiker als Umblätterhilfe anwesend sein muss, muss Albrecht nun nur noch in die richtige Richtung mit dem Mund zucken, und wie von Geisterhand blättert das iPad um. Es verfügt nämlich über eine Gesichtserkennung, bei der der Spieler einstellen kann, worauf die App reagiert. Naserümpfen, Kopf wackeln, Augen aufreißen – Peter Albrecht hat sich für ein dezentes Lippenzucken entschieden. „Ich könnte das nicht“, sagt Iserlohns Kantor Tobias Leschke, der Peter Albrecht nach Iserlohn eingeladen hatte. Dafür sei sein Gesicht beim Spielen zu aktiv. Ob es Peter Albrecht klappen würde, wusste er selbst vorher nicht. Zur Absicherung stand Tobias Leschke das ganze Konzert über mit den gedruckten Noten bereit. „Man kann damit sicherlich auch ganz schön auf die Nase fallen“, befürchtete Peter Albrecht. Es hat dann aber alles bestens geklappt. Der junge Mann erwies sich als echtes Poker-Face auch in den schwersten Stürmen des organistischen Klangwustes. Und es hat sich seinem Gesicht glücklicherweise auch keine Wespe genähert.

Unten war davon wie schon gesagt nichts zu merken. Und so wurde dieses Orgelkonzert ein recht furioser Schlusspunkt einer Sommerklänge-Reihe, von der wegen Corona lange nicht klar war, ob sie wirklich stattfinden kann. Die Entscheidung, die vier Konzerte durchzuziehen, habe sich aber als komplett richtig herausgestellt, wie Kantor Tobias Leschke sagt. Auch wenn die Hygiene-Vorschriften gerade für den Förderverein der Kirchenmusik an Aloysius, der die Konzerte organisiert, erheblich mehr Aufwand bedeutet hat. Dennoch: „Das war eine gute Sache. Es hat gut getan, die Reihe zu machen“, freut sich Leschke in einem Resümee. Die Besucherzahl sei immer sehr hoch gewesen, fast immer an der Grenze des Erlaubten. Und das sicherlich auch wegen der Zusammenstellung und der durchweg hohen Qualität. Es hat vier sehr unterschiedliche Formate und Besetzungen gegeben, bei denen die Interpreten in der Tat durch die Bank überzeugt und das Publikum begeistert haben. Und der erste Abend mit der coronabedingt einzigartigen Situation mit dem Publikum vor und dem Pianisten im Forum, wird vermutlich ohnehin unvergesslich bleiben.

Viele Gründe also die Reihe auch 2021 weiterzuführen – unter welchen Umständen auch immer. Die Planungen für die nächsten Sommerklänge laufen schon