Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder

5. August, 2020

Die Sommerklänge an Aloysius starten mit einer ganz neuen Konzertsituation und großartiger Klaviermusik

Flügel drinnen, Türen auf, Publikum draußen – beim Sommerklänge-Auftakt mit Tobias Haunhorst erklang große Klassik inmitten der lärmenden Innenstadt.                                               <b>Michael May</b>

Flügel drinnen, Türen auf, Publikum draußen – beim Sommerklänge-Auftakt mit Tobias Haunhorst erklang große Klassik inmitten der lärmenden Innenstadt. Michael May

Ralf Tiemann

Iserlohn Leisere Passagen gingen im Straßenlärm schon mal unter. Und auch wenn es laut wurde, vermisste man die bebende Kraft, mit der ein Konzertflügel die Zuhörer im geschlossenen Raum schon mal in der Magengrube treffen kann. Unter freiem Himmel und auf Distanz blieb da vieles eher flach und eindimensional, wie eine Landschaft ohne Berge und Täler. Aber in Coronazeiten und nach fast einem halben Jahr ohne Konzerte ist man auch schon mit einem leicht eingeschränkten Hörvergnügen glücklich – Hauptsache wieder gemeinsam live Musik erleben, allein das zählt.

Und außerdem beschert einem das Virus auch Konzertsituationen, die es so – vermutlich aus gutem Grund – noch nie gegeben hat, und wahrscheinlich auch nach der Pandemie nie wieder geben wird. Für den Auftakt der diesjährigen Sommerklänge am Dienstagabend hat Kantor Tobias Leschke zusammen mit den Organisatoren vom Förderverein Musica Sacra ein wirklich außergewöhnliches Setting gewählt. Pianist Tobias Haunhorst nahm im Pankratius-Forum an der Fensterfront am Flügel Platz, alle Türen wurden aufgerissen und draußen auf dem Kirchplatz saß das Publikum – wie inzwischen schon gewohnt mit großen Abständen zwischen Paaren, Einzelgästen und kleineren, zusammengehörenden Besuchergruppen auf einem bestuhlten und mit Flatterband als Auditorium gekennzeichneten Areal mit Ein- und Ausgang, schriftlicher Gästeerfassung, Maskenpflicht und Desinfektionsmitteln.

So eine lange Pause hatte Tobias Haunhorst noch nie

Abgesehen von den zuletzt genannten Corona-Begleitumständen hatte diese Anordnung durchaus etwas Reizvolles, Klassik mitten in der pulsierenden Stadt, wo sich die übliche Geräuschkulisse mit spielenden Kindern und Musikfetzen aus offenen Autos mit Beethoven und Liszt mischen. Von der außergewöhnlichen Optik des Kirchplatzes ganz abgesehen. „Das ist so genial, dass wir überlegen, die Konzerte jetzt immer hierhin zu verlegen“, scherzte Tobias Leschke, der vor allem dankbar war, dass er dank der tatkräftigen Unterstützung seines Fördervereins die diesjährige Konzertreihe überhaupt anbieten kann.

Apropos Beethoven und Liszt – die vorletzte Sonate op. 110 von Beethoven und die ausufernde h-Moll-Sonate von Liszt kann bei weitem nicht jeder Klavierspieler technisch bewältigen und schon gar nicht so durchdringen, wie der junge Tobias Haunhorst. Viel höher kann man kaum greifen und viel tiefsinniger kaum Musik machen. Da geht es um unsterbliche Liebe, Verzweiflung, Tod und Auferstehung, um Faust und Mephisto. Beethoven und Liszt erheben sich weit über rein pianistischen Glanz und virtuoses Spiel. Sie gießen tiefe Gedanken und ein ganzes Universum in Töne – und Haunhorst setzt beide wunderbar ins Verhältnis.

Es war das erste Konzert seit Beginn der Corona-Pause für den ansonsten in ganz Deutschland aktiven Musiker, den Konzertreisen auch ins Ausland bis in die USA und China führen. „So eine lange Pause hatte ich noch nie“, sagte er und sprühte dementsprechend geradezu vor Freude über diese erste Konzertmöglichkeit bei seinem Freund Tobias Leschke, der ihn ja schon öfter nach Iserlohn geholt hatte. Wie immer nahm er das Publikum auf sehr sympathische Weise mit in die Welt dieser Giganten der deutschen Klaviermusik und erklärte, wie er ihre Musik empfindet und deutet. Und wenn einmal der Verkehr am Hohler Weg eine Pause machte und es ganz leise wurde, konnte man sogar hören, welch einen klanglichen Zauber er am Klavier entfalten kann. Da stimmte dann auch das Hörvergnügen.